Eine ostdeutsche Manufaktur baut ein preisgekröntes E-Bike. Taugt es auch fürs SZ-Fahrradfest? Eine Probefahrt.

Neugierige Blicke, skeptische Fragen: So viel Aufmerksamkeit hatte ich noch nie mit einem Fahrrad erregt. Damals, vor elf Jahren, war ich zum ersten Mal mit einem E-Bike beim SZ-Fahrradfest unterwegs. Ein Exot unter 10.000 Pedalrittern.
Inzwischen nutzen immer mehr Radfahrer die Motorkraft. Das freut auch die Hersteller. Die Verkaufszahlen klettern von Rekord zu Rekord. Vergangenes Jahr legten sich knapp zwei Millionen Deutsche ein E-Bike zu. Kann man da noch auffallen – als Radfahrer, aber auch als Produzent?


In Magdeburg hat sich eine kleine Firma genau das zum Ziel gesetzt: „Wir haben das Fahrrad neu gedacht“, sagt Roman Thomas, Geschäftsführer der Urwahn Engineering GmbH. Die Idee: eine Kombination aus puristischem Design und technischen Raffinessen. Das ist zwar auch nicht ganz neu, aber bei genauerem Hinschauen schon. Denn da fällt einem zuerst die ungewöhnliche Form des Rahmens ins Auge. Er kommt ohne Sitzrohr aus und scheint zwischen den Rädern zu schweben. Dieser Hinterbau, so verspricht der Hersteller, soll „Fahrbahnunebenheiten zugunsten deines Fahrkomforts kompensieren.“
Klingt schon mal nicht schlecht. Aber wie fühlt sich das ganze praktisch an? Ich darf das Rad testen und wähle dafür gleich eine Strecke aus, die am 29. August beim diesjährigen SZ-Fahrradfest auf dem Programm steht. Die Lidl-Tour führt vom Dresdner Ostragehege bis zum Rand der Sächsischen Schweiz und über Pirna wieder zurück in die Landeshauptstadt. 70 Kilometer, die ich auch locker mit meinem Tourenrad schaffen würde. Aber ein neues Rad ist immer etwas anders. Und zur Abwechslung mal mit elektrischer Unterstützung – warum nicht?

 

Das Modell heißt Platzhirsch und stellt mich zunächst vor ein Rätsel. Wie schalte ich den Motor ein? Woran erkenne ich die Unterstützungshilfe? Und wo, verflixt noch mal, ist eigentlich die Gangschaltung? Ich studiere die Anleitung, durchforste das Internet – vergeblich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als bei Urwahn anzurufen. Normalerweise, sagt Roman Thomas, kaufen die Kunden das Rad beim Fachhändler oder direkt ab Werk. „Da gibt es immer eine gründliche Einweisung.“
Dann beschreibt er mir, wo sich der Startknopf befindet und wie ich die drei Unterstützungsstufen wähle. Ein simples Plastikteil am Lenker, mit dem ich zunächst nichts anfangen konnte. Je nachdem, wie lange man wo drauf drückt, leuchtet oder blinkt eine bestimmte Farbe. Eine Gangschaltung habe das Rad im Übrigen nicht, dafür einen verschleißarmen Carbon-Zahnriemen. Aber ich wisse ja nun, wie ich die maximale Power aus dem Akku mit 250 Wattstunden raushole. Der versteckt sich übrigens im schmalen Rahmen und soll 80 Kilometer weit reichen – in der Ebene. Weil ich über 560 Höhenmeter vor mir habe, nehme ich noch einen Zusatzakku on Bord.


Ohne Motorunterstützung ist der Antritt etwas mühsam. Aber sobald es rollt, macht das Fahren richtig Spaß. Was sicher auch mit den vergleichsweise schmalen Reifen, vor allem aber mit dem Gewicht zu tun hat. Mit knapp 18 Kilo – inklusive Zusatzakku – ist der Platzhirsch ein eher leichtes E-Bike. Irgendwie muss sich die puristische Bauweise ja auszahlen.
Auf der Bautzner Straße, am Rand der Dresdner Heide, geht es dann bergan. Ich schalte den Motor ein und überhole die Autos, die im Stau stehen. Erst an der Mordgrundbrücke habe ich keine Chance mehr. Nur mit der höchsten Unterstützungsstufe und maximaler Beinarbeit erreiche ich die Anhöhe auf dem Weißen Hirsch. Mit Gangschaltung wäre das natürlich deutlich einfacher gegangen. Das Rad hat eine relativ große Übersetzung“, erklärt mit der Urwahn-Chef nach der Testfahrt. Für Leute, die häufiger in den Bergen unterwegs sind, gebe es im Übrigen noch einen Platzhirsch mit Elf-Gang-Kettenschaltung.
Zu spät. Aber ich bin ja auch schon oben. In Schönfeld wechsele ich von er Straße auf einen ehemaligen Bahndamm. Vor genau 70 Jahren rollte hier der letzte Zug; heute ist die Strecke zwischen Weißig und Dürrröhrsdorf ein komfortabler Radweg. Allein die Pflastersteine, die die Asphaltstrecke immer wieder mal für wenige Meter unterbrechen, sind eine Herausforderung für das Rad und Radfahrer. Aber genau hier spielt mein Testrad seine Stärke aus: Der patentierte Stahlrahmen sieht nicht nur schick aus, sondern federt auch das Holpern spürbar ab.


Fünf Jahre hat das Urwahn-Team an der Konstruktion getüftelt. Unterstützung gab es von Ingenieuren und Wissenschaftlern. Was man dem guten Stück nicht ansieht: Es wird im 3-D-Drucker gefertigt und anschließend in Handarbeit bearbeitet und nach Kundenwünschen beschichtet. „Und zwar ohne weitere Transportwege“, betont Ramon Thomas. Die Rahmen werden in Magdeburg und Leipzig gefertigt, die Beschichtung erfolgt unter anderem in Dresden. Das alles schlägt sich letztlich im Preis nieder: Mein Testrad kostet rund 4500 Euro, gut die Hälfte sind allein für den Rahmen. Der Erfolg gibt den Magdeburgern recht: Im Frühjahr gab´s für den Platzhirsch den Red Dot Product Design Award 2021. Dieses Jahr rechnet Urwahn – alle Modelle zusammen – mit 250 verkauften Rädern, doppelt so viele wie 2020.


Vor Dürrröhrsdorf geht es noch mal steil bergan. Ich schalte den Motor auf Höchstleistung, immerhin habe ich ja noch den Zusatzakku an Bord. Der steckt ganz unauffällig im Getränkehalter: dafür ist leider kein Platz für eine Trinkflasche vorgesehen. Kabel sucht man übrigens auch vergeblich – die sind in den Rahmen integriert, genauso wie Vorder- und Rücklicht.
Nach der knappen Hälfte der Strecke habe ich den höchsten Punkt erreicht. Ich halte kurz an, der Ausblick aufs Elbstandsteingebirge ist einfach umwerfend. Spontan biege ich hinter Rathewalde noch mal zur Bastei ab, wo auch noch am Abend an der neuen Aussichtsplattform gewerkelt wird. Der anstrengende Teil der Tour liegt hinter mir. Von nun an geht es fast nur noch bergab oder zumindest recht eben zurück zum Ziel, überwiegend durch Städte und auf Straßen. Genau dort, wo sich der Platzhirsch am wohlsten fühlt.

 

Foto: Jürgen Lösel
Text: Steffen Klameth

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