Sieben Uhr, Sonntagmorgen, es regnet in Strömen. Dresden schläft noch, auf den Straßen mischen sich die vereinzelten müden Gesichter der Diskogänger von letzter Nacht mit denen, die ihre Sonntagsschicht beginnen. 

Nur unter dem Dach vor dem Mc Donalds am Altmarkt tummeln sich gleich mehrere Dutzend Menschen in sportlicher Funktionskleidung und wirken dabei ziemlich konzentriert, aber tiefenentspannt.

Eine von ihnen ist Silke Ermel. Die gehörlose Köchin nimmt zum zweiten Mal beim SZ-Fahrradfest teil – und will sich der härtesten Route der Veranstaltung stellen: Der 140 Kilometer langen Die-Fahrradkette-Tour in die Sächsische Schweiz, bei der insgesamt 1.675 Höhenmeter überwunden werden wollen.

 „Vor zehn Jahren bin ich mit meinem damals kleinen Sohn die 30 Kilometer gefahren, jetzt wollte ich einfach mal mein neues Rennrad ausprobieren“, sagt sie stolz und deutet auf das schwarze, auf Hochglanz polierte Gefährt. Der Regen macht niemandem etwas aus, wer so früh in die Berge aufbricht, ist schließlich ein echter Profi.

Fahrradfest-Teilnehmerin Silke Ermel
Die gehörlose Köchin Silke Ermel ist schon am frühen Morgen gut gelaunt.

Oder etwa doch nicht? 40 Minuten später röhrt es aus dem Funkgerät, da ist der Rettungswagen von Christian Gaudig noch gar nicht losgefahren.

„Da hat es einen hingelegt“, erzählt der 47-jährige Rettungsassistent, der schon ein alter Hase beim Fahrradfest ist. 22 Mal war Gaudig schon bei der Sause dabei, dieses Mal begleiten er und Sanitäterin Annett Berthold die Radtourenfahrt Drei.

"Toi, toi, toi", ruft der Rettungsassistent.

Die Kollegen eilen zur Gläsernen Manufaktur, später stellt sich heraus: Alles halb so schlimm, nur etwas Armschmerzen. In gemächlichem Tempo geht es über die Stadtgrenze hinaus. Nur manchmal muss Gaudig die Sirene anschalten, um die Fahrer von der Gegenspur auf die richtige Straßenseite zu lenken.

Dann ein kurzer Schock: Ein Radler unterschätzt die Nässe und fällt vom Mountainbike. Doch er steht gleich wieder auf und signalisiert, dass es ihm gut geht. 

Gaudig nimmt es mit Humor: „Toi, toi, toi“, ruft er dem drahtigen Mann aus dem Seitenfenster zu. Dann erreicht der Wagen den Verpflegungspunkt in Radeberg.

Johanniter Rettungsassistent
Hat alles stets im Blick und dabei trotzdem Humor: Johanniter-Rettungsassistent Christian Gaudig.

Hier sind alle Sorgen über das Wetter plötzlich vergessen. Während mehrere Hundert Pedaltreter in Bananen beißen und Wasser aus kleinen Plastikbechern schlürfen, lichtet sich der Himmel und die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite. Mountainbiker Stefan Haubold steht gegenüber von Norma und schwärmt: „Ich bin das erste Mal dabei und sonst eher der sportliche Einzelgänger. Aber hier passt jeder auf sich auf, das Fahren ist so schön.“

Das findet auch Familie Falk, die wir später auf dem Altmarkt wieder treffen. Mutter Marlene, die vierjährige Lotta und der einjährige Ole machen hier quasi einen fliegenden Wechsel. 

Vater Tobias und der älteste Sohn Elias kommen in wenigen Minuten von der Vonovia-Tour zurück. Dann überlassen sie Marlene und Lotta das Feld, die die Kruschel-Tour rocken wollen.

Plötzlich steht die Familie im Rampenlicht

Lotta ist schon ziemlich aufgeregt und knabbert an ihrer Unterlippe. Ein wenig neidisch schielt sie auf den einfahrenden Elias und seine prächtige Medaille. 

Beim spontanen Foto mit Maskottchen Kruschel an der Startlinie steht die Familie dann plötzlich mitten im Rampenlicht. Sogar die Radiomoderatoren springen von der Bühne und zücken ihre Smartphones.

Ein echter Prominenter hat sich währenddessen freiwillig in ein unscheinbares Holzhäuschen am hinteren Ende des Altmarkts verzogen. Während so langsam immer mehr Teilnehmer durch die Ziellinie fahren und dort von emsigen Mitarbeitern Medaillen um den Hals gehängt bekommen, hantiert Markus Weinberg mit zwei Handys gleichzeitig. 

Vor ihm liegen die ausgedruckten Infos aller sieben Routen. Weinberg hat eine aufregende Karriere im Radsport hinter sich, fuhr elf Jahre lang internationale Rennen, seinen letzten Sieg räumte er 2013 in Burkina Faso bei einem Rennen des Internationalen Radsport-Verbands ab. 

Heute sorgt er in einem Team mit zwölf Leuten als Organisator der Pannenhilfe dafür, dass geplatzte Reifen und gebrochene Pedalen niemandem zum Verhängnis werden.

Familienfreude beim Fahrradfest
Familie Falk darf mit Maskottchen Kruschel kuscheln. Besonders für die Kinder ein toller Tag.

So ein Profi wie Weinberg ist SZ-Redakteur Andreas Weller noch nicht, der um 14 Uhr mit einem müden Lächeln über die Ziellinie fährt. „Ich hatte dieses Jahr einfach noch keine krasse Herausforderung. Deshalb hab ich mich letzte Woche spontan für die 100 Kilometer angemeldet“, so der Hobby-Mountainbiker.

Obwohl die Anhöhen bei Heidenau „wirklich richtig Hölle“ gewesen seien, erzählt Weller, spürt er in den Beinen weniger Schmerzen als erwartet.

Auch der Stich eines Tieres, dass ihm nach ungefähr 40 Kilometern unter den Helm kroch, stellt sich als harmlos aus. „Halb so wild“, sagt die Sanitäterin der Johanniter und presst dem Redakteur einen Eisbeutel auf das überhängende rote Augenlid. 

Auch ansonsten blieben die großen Unfälle bis auf einen Fall, der sich ohne Helm eine Kopfverletzung zuzog, aus. Die Johanniter bilanzieren insgesamt 34 Verletzungen, fünf Radler wurden im Krankenhaus nachbehandelt. 

Langsam wird die Stimmung auf dem Altmarkt immer ausgelassener. Viele Pedaltreter lauschen auf den Bierbänken der Band auf der Bühne und genießen bei schönsten Sonnenstrahlen sächsische Bratwurst – und natürlich Radler.

Text: Daniel Krüger
Fotos: Wolfgang Wittchen, Arvid Müller
weitere Fotos in der Bildergalerie auf sächsische.de


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